MIDI hilft beim Üben
von Detlef Rusch

Wenn ein Orchester einen neuen Titel einübt, dann gilt es, die ersten Anweisungen des Dirigenten zu Tempo, Phrasierung und Intonation möglichst rasch aufzunehmen und dann erst intensiv allein zu üben. Was jeder Musiker wissen sollte: Die Noten allein enthalten zu wenig Information, um ein Stück stilgerecht oder den Vorstellungen des Dirigenten entsprechend spielen zu können. Beides muss auch nicht unbedingt das Gleiche sein. Wenn man dann ausserdem beim Üben sich etwas Falsches einpaukt, dann wird man das leider auch so schnell nicht wieder los. Betrachten wir uns an einem Beispiel, wie sehr man auf die ersten Zusatzinformationen des Dirigenten angewiesen ist, wenn das Orchester in einheitlichem Stil spielen soll.

In einem Swingstück schrieb der Komponist in guter Absicht Swing-Achtelnoten zur Verdeutlichung punktiert. Drei Saxophonisten gingen auf ihre Noten naiv los, und - begleitet von Bass und Schlagzeug - kam dabei Folgendes heraus:

Swing - bitte so nicht (mp3).
Wenn das Fenster des Audioplayers nicht von alleine schließt,
bringt ein Klick auf den "Zurück"-Befehl im Explorer den Textartikel zurück.

Der Dirigent hatte danach viel zu tun, diese "zickige" Spielweise zu korrigieren. Der bedauernswerte Dirigent musste mit vielen Worten und meist auch singend erklären, was das Orchester spielen soll. In der Kurzfassung ist das etwa so: Die Swing-Achtel werden nur angedeutet punktiert gespielt und das mit möglichst geringen Pausen zwischen den Noten, damit die Tonfolge möglichst glatt läuft. Das Ganze darf auf keinen Fall mühsam dem Instrument abgekämpft klingen, sondern muss ganz entspannt gespielt werden. Bei anderen Musiktiteln ist das Gleiche eher als Achtel notiert, sollte aber doch auf die beschriebene Weise gespielt werden... u.s.w. Man merkt, diese Erläuterung ist mühsam und kostet viel Zeit, denn nun muss der Dirigent ja auch noch die Saxophonriege mindestens einmal anhören, um zu kontrollieren, ob die Botschaft ankam.

Kann hier nicht eine geeignete Musikaufnahme den Dirigenten in seinen Bemühungen unterstützen? Ja, das ist inzwischen gängige Praxis. Doch für ältere Titel gibt es nicht immer geeignete Demonstrationsaufnahmen zu kaufen, was auch für das erwähnte Swing-Stück der Fall ist. Unter meinen Aufnahmen aus der Swing-Ära fand ich ein Stück, das besonders in den Übergängen zeigt, wie die Swing-Achtel intoniert werden.

Benny Goodman Quartet - Ausschnitt von: Somebody Loves Me (mp3)

Dem "King of Swing" wird man ja wohl glauben, wie Swing klingen sollte! Unsere drei Saxophonisten nahmen sich das zu Herzen und daraufhin klingt ihr Stück schon besser:

Swing, wie er klingen soll (mp3).

So, nun kann ich zum Kern meiner Argumentation kommen: die beiden Kostproben von den Saxophonen sind gar nicht real aufgenommen, sondern auf dem PC in einem Musik-Produktionsprogramm geschrieben, aus dem heraus durch "Abspielen" die Musik zu hören ist. Wir haben es hier mit einem Musikautomaten zu tun, denn der Apparat läuft von alleine, wenn er einmal seine Befehle geschrieben bekam. Die für unsere Zwecke wichtige Frage ist: Kann man damit eine tönende Hilfe für's Üben erstellen? Ein amüsanter Ausflug in die Geschichte führt uns in die Materie besser ein als alles Erklären von PCs und Programmen.

Die Grundidee, Musik in Automaten zu erzeugen, ist viel älter als die Rechnertechnik. Schon vor Jahrhunderten begann man mit Spieluhren, Klänge abzurufen. Bei einer Orgel, bei der ja die Tonerzeugung darin besteht, dass nach dem Tastendruck Luft in die betreffende Orgel geblasen wird, liegt die Idee nahe, das Tastendrücken auch noch zu automatisieren. Beim Klavier ist das etwas schwerer, denn hier spielt die Anschlagstärke und das Pedal eine wichtige Rolle. Aber auch dies wurde gebaut. Die Vorgänger der heutigen elektronischen Technik sind im Bruchsaler Schloß zu besichtigen, und was für uns noch wichtiger ist: im Original zu erleben. Hier ist schon einmal der Link zum Internet-Auftritt des Landesmuseums in Karlsruhe, zu dem das Musikautomaten-Museum in Bruchsal gehört:

Musikautomaten-Museum Bruchsal.

In diesem Internet-Auftritt wurde bisher eine Musikautomaten-Galerie angeboten. Neben - leider - kleinen Bildern von Geräten gab es eine kurze Beschreibung. Ging man mit der Maus auf das Bild des betreffenden Geräts bekam man eine Aufnahme der Musik des Geräts zu hören. Die Galerie begann mit ganz alten Geräten, doch zwei Beispiele darunter waren für unsere Zwecke - gegenwärtig - am besten: Der Flügel und die Orchestrions.

Bei einer Revison des Internet-Auftritts wurde die hilfreiche und anlockende Galerie leider herausgenommen. Aus dem ehemaligen Auftritt habe ich vorsichtshalber den Ton eines Einführungsvortrags, der 2003 anlässlich der Erweiterung und Umbenennung des Museums gehalten wurde, aufbewahrt. Diesen Vortrag mit 6 Minuten Länge, der auch Musikbeispiele enthält, kann man hier hören.

Einführungsvortrag Deutsches Musikautomaten-Museum Bruchsal.

In dem Internetauftritt vom niederländischen 'Speelklokmuseum Utrecht' fand ich vor einigen Jahren von einigen Ausstellungsstücken sogar lehrreiche Videos mit Ton, die inzwischen auf Youtube eingestellt sind. Sie zeigen am besten, worin die Grundidee der Musikautomaten besteht. Man sollte sie als Vollbild betrachten.

Fa. Hupfeld Piano und Violinen.

Ist man erst einmal bei Youtube, werden gleich ähnliche Videos angeboten. Deshalb füge ich hier nur einen weiteren Link an.

Piano mit 'Mister Sandman'. (aus anderer Quelle)

Die Töne werden hier alle von realen Musikinstrumenten erzeugt, nur ist die Tonerzeugung in diesen Instrumenten automatisiert, gesteuert durch die Papierrolle, in der Löcher die Tonerzeugung einschalten. Ein Blasebalg erzeugt Luftdruck, der alles andere antreibt. Mit einem Motor in der Art einer Dampfmaschine, mit fünf oder mehr Zylindern, wird die Papierrolle angetrieben. Sie läuft über ein Rohr mit vielen Löchern - für jeden Ton eins -, in das die Druckluft eingepumpt wird. Die Löcher in der Papierrolle geben dann den Luftweg frei zu dem Zylinder, der die Klaviertasten drückt, als täte dies ein Spieler. Vor den Violinen läuft ein als Kreis geformter Bogen, an den die Violinen heranbewegt werden, wenn sie tönen sollen. Auf jeder Violine wird nur eine Saite benutzt, wobei mit Druckluft betriebene "Finger" die Saite abgreifen.

Aus den Videos geht nicht hervor, ob auch schon die aus heutiger Sicht denkbare elektrische Abtastung der Papierrolle und eine elektromagnetische Tastenbetätigung eingesetzt wird. Aber in einem Video sieht man den Elektromotor, der den Blasebalg antreibt.

Die ganze Pracht der Geräte und den nostalgischen Charme der damit erzeugten Musik sollte man lieber in der mustergültigen Ausstellung in Bruchsal bewundern. Für die, die in der Nähe wohnen: Ein trüber Sonntagmorgen ist dafür sehr geeignet. Für andere Interessenten gibt es im Internetauftritt des Freundeskreises des Bruchsaler Museums eine Reihe von Links zu anderen Musikautomaten-Museen.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden elektronische "Orgeln" entwickelt, in denen elektronisch erzeugte ("synthetisierte") Klänge direkt von einer Klaviatur (engl. "Keyboard") abgerufen wurden. Die Lautstärke konnte mit Kniehebel oder Pedal während des Spiels variiert werden. In den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die Rechner dann allmählich in die Entwicklung einbezogen. Damit wurden die Orgeln zu "Keyboards", in denen auch aufgenommene Klänge von realen Instrumenten benutzt werden (engl. "samples"=Stichproben). Als ich mich das erste Mal für ein Keyboard mit solchen digital aufgenommenen Stimmen interessierte, staunte ich, dass die Stimmen für Saxophone schon sehr "glaubhaft" klangen. Aber ich staunte auch über den Preis: So viel wie ein Luxusauto sollte das kosten! In den Neunziger Jahren wurde dann mit den schnell gewordenen PCs die digitale Aufnahme- und Bearbeitungstechnik für Amateure nutzbar und erschwinglich. Die Verwandschaft zur Vorgängertechnik ist aber überall noch dort präsent, wo sie damals schon sinnvoll war. Das von mir benutzte Musikproduktionsprogramm hat eine Eingabeform, die die echte Papierrolle bei den Musikautomaten auf dem Bildschirm nachempfindet. Hier ist der Ausschnitt vom Schirmbild, der zeigt, wie die Eingabe aussieht. Einige Erklärungen habe ich in das Bild hineingeschrieben.

MIDI Key Editor Swinging Saxes AltSax 1

Es ist der Beginn des Parts von Altsaxophon 1 des Swingtitels von oben. Für jeden Ton ist eingegeben, wann er beginnen soll und wann er enden soll. Wo auf der wirklichen Papierrolle für die zu spielenden Töne reale, kürzere oder längere Löcher sind, durch die Luft zu Orgelpfeifen hindurchtreten kann, oder elektrische Kontakte geschlossen werden können, ist auf dem Schirmbild ein dicker horizontaler Strich, der zeigt, wann der Ton abgerufen wird. Wichtig ist bei dieser "Papierrolle" (gleich, ob es die echte oder virtuelle ist), dass die Lage der Löcher von der Takteinteilung ganz unabhängig ist. So muss z. B. eine erste Viertelnote am Beginn eines Taktes keineswegs am Taktstrich beginnen und am Ende des ersten Viertels aufhören. Für die Phrasierung ist ja gerade diese Ablösung von der sturen Realisierung der geschriebenen Noten ein wichtiges Element. Diese Eingabeweise ist also auch frei von den Beschränkungen der Notenschrift, mit denen wir öfters zu tun bekommen.

Am linken Rand des Editorfeldes zeigt ein Klaviaturbild an, welche Töne in dem Feld stehen. Abgespielt wird mit dem gewählten "Tempo" von links nach rechts, und wie bei der echten Papierrolle kann dieses Tempo auch variiert werden, sogar innerhalb des Stückes. Dabei werden die gleichen Töne aufgerufen, wobei die Notenlänge in der Ausführung korrekt zur geänderten Taktlänge bleibt. Gegenüber der Papierrolle bietet die Tonerzeugung auf dem Rechner noch weitere Möglichkeiten. Man kann für jeden Ton die Lautstärke festlegen. Sie ist am unteren Rand des Bildes als vertikaler Strich dargestellt, wobei die Strichlänge die Lautstärke bezeichnet. Die Saxophonstimmen sind von einem realen Saxophonisten gespielte und aufgenommene Töne, englisch sog. "samples", die aus einer Datenbank entsprechend den Anweisungen aus dem Rechner abgerufen werden. Als Besonderheit läßt sich bei den von mir benutzten Saxophonstimmen auch noch die Art der Intonation steuern, hier im Beispiel benutzte ich das kurze und lange Anblasen. Dies geschieht über eine tiefe Note, die unterhalb des Tonbereichs des Instruments liegt, also keinen Ton erzeugt. Im Bild sind diese Steuernoten orange eingetragen. Es gibt noch weitere Feinkontrollen, aber es ist nicht nötig, sie hier zu erklären.

Die Technik, in der das Ganze abläuft, nennt man "MIDI" (Musical Instruments Digital Interface). Es ist die Technik, in der heute die "Keyboards" arbeiten. Siehe auch den Abschnitt Töne und Notennamen, der in einem eigenen Fenster erscheint, damit man ihn zum schnellen Nachschauen bereithalten kann. Bei mir am PC kann ich in dem Musikbearbeitungsprogramm wählen, ob ich Töne über die Klaviatur aufrufe und das Ganze aufzeichnen lasse, oder ob ich die Töne direkt in dem Editor schreibe.

Damit mich niemand mißversteht: Die MIDI-Technik wird zwar heute schon weithin genutzt, bleibt aber doch noch weit von den Möglichkeiten der lebendigen Instrumente entfernt, bei denen der Ton direkt vom Musiker erzeugt wird (Blas- und Streichinstrumente, aber auch Schlagzeug; Gegenbeispiele: Orgel, Klavier). Bleiben wir bei den Blasinstrumenten. Sie werden nicht etwa nur gehalten, angeblasen und dazu wird mit den Fingern ein Ton angewählt, sondern man spielt sie mit dem ganzen Körper. An einem Keyboard braucht man zwar die zu spielende Note nur mit einem Finger aufzurufen, aber um die gewünschte Intonation anzufordern, braucht man weitere Bedienungselemente. Auf den üblichen Keyboards hat man ein großes Feld für die übergeordnete Stimmenauswahl, und dazu einige Bedienungsmöglichkeiten für die Intonation: Lautstärke über die Anschlagstärke der Taste, dann ein Hebel zur Tonhöhenvariation und eventuell noch Pedale. Bei den von mir benutzten Saxophonstimmen ist die Intonationsanwahl auf der Klaviatur untergebracht, links von den für die Töne benutzten Tasten. So kann man immerhin schon bis zu 8 Intonationweisen anwählen, die man außerdem aus einem noch viel größeren Sortiment zusammenstellen kann. Das ist zwar schon verblüffend nutzbar, ist aber im Vergleich zu realen Instrumenten doch immer noch zu starr. Mehr zum Thema "reales Saxophon" in "Das verkannte Saxophon". Dort zeigen Hörbeispiele aus Aufnahmen von Spitzensaxophonisten, wie diese von Ton zu Ton die Intonation gestalten und dadurch erst den Ton so begeisternd lebendig werden lassen.

Lassen wir uns also in unserer Freude an den realen Blasinstrumenten nicht irritieren und benutzen die MIDI-Technik nur soweit, wie sie uns hilft. Meine Beispiele von dem Swingstück zeigen, dass mit der neueren Technik ein musikalischer Ausdruck wenigstens soweit geformt werden kann, dass man die Musik durchaus als Übungshilfe gebrauchen kann. Die folgenden beiden Bilder belegen das. Sie zeigen die Eingabe zum Beginn der Melodie im Altsaxophon 1, zuerst die "zickige" Version, dann die erwünschte Art der Ausführung. Die stärksten Striche markieren die Taktgrenzen, die nächst feineren die Viertel und die schwächsten (punktierten) Linien die Zweiunddreißigstel.

zickige Spielweise

Die punktierten Achtel und die zugehörigen Sechzehntel sind hier so eingetragen, wie die Notendefinition es fordert. Das Umgreifen zum nächsten Ton ist als kleine Pause berücksichtigt.

Swing erwünschte Ausführung

In der erwünschten Ausführung sind die punktierten Achtel kürzer und die Sechzehntel länger und auch früher. Zusätzlich ist ihnen zugeschrieben, dass sie ohne nennenswerte Pause ineinander übergehen.

Man sieht: die kleinen Unterschiede, die ja nur die Länge von zweiunddreißigstel Noten betragen, haben eine deutliche Wirkung! Man kann also durchaus mit der MIDI-Technik auch eine Begleitung für das Üben erstellen, die den Wünschen des Dirigenten entspricht, oder ihnen wenigstens nicht widerspricht. Ich glaube nicht, dass man die Längen von zweiunddreißigstel Noten beim Spielen noch auszählen kann. Den Unterschied zwischen den beiden Versionen einzuüben, geht nur noch durch Spielen. Da ist es dann gut, mit einem möglichst gut passenden Beispiel mitzuspielen (nicht nur anhören und dann allein spielen).

Auch für das Üben von Nebenstimmen ist es hilfreich, wenn man eine geduldige Begleitung hat, die erstens zeigt, wie die eigene Stimme in das Stück passt und die zweitens nicht meckert, wenn man zum siebten Mal eine Stelle wiederholt.

Das MIDI-Schlagzeug simuliert den Dirigenten und gibt mit Vorschlägen auch den Einsatz. Weiter braucht man nur ein paar charakteristische Schlagfiguren in seinem Part unterzubringen und schon hat man etwas dem Metronom weit Überlegenes. Dieser bringt einen durch sein gleichförmiges Tack-Tack-Tack eher in Schwierigkeiten, weil es zwar einen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, dafür aber nicht die geringste Hilfe gibt, wenn man sich um einen Schlag vertan hat ("Ta-Ta-Ta, lieber Mälzel" verhöhnte schon Beethoven den Erfinder des Metronoms). Das MIDI-Schlagzeug und ein paar Stimmen der Melodie-Instrumente reichen als Anhaltspunkt aus, um die Einsätze und die Phrasierung so zu lernen, dass man nach einem Fehler schnell wieder in das Stück zurückfindet. Wenn ich schwierige Griffe in korrekter Phrasierung üben möchte, nutze ich gerne die Möglichkeit, das "Tempo", mit dem das Stück im Rechner abgespielt wird, zunächst herabzusetzen. Dann erhöhe ich langsam auf das gewünschte Tempo. Es muß nicht jeder im Orchester auch einen PC mit der erforderlichen Ausstattung besitzen, denn man kann sich die Übungshilfen über CDs oder als MP3-Datei weiterreichen, wie es ja die beiden Beispiele von dem Swingstück zeigen. Weil in diesen Ausgaben aber das Tempo festgelegt ist, sollte man ruhig mehrere Versionen mit verschiedenem Tempo erzeugen. Hier ist ein Beispiel des obigen Swingstücks, bei dem ich das Tempo auf 150 Viertelnoten pro Minute herabgesetzt und noch einen Takt Vorzähler des Schlagzeugers hinzugenommen habe.

Swing, verlangsamt zum Üben (mp3)

Ein weiteres Beispiel einer Übungshilfe soll zeigen, wie man an eine schwierige Stelle herangehen kann. Der Marsch "Zum Städtel hinaus" hat einige schwierige Stellen in den Flügelhörnern und Saxophonen. Mit nur einem einfachen Schlagzeug und der Altsaxophonstimme übte ich diese (für mich) schwierige Stelle.

Ausschnitt von "Zum Städtel hinaus" (mp3)

Als ich 2003 in den Verein eintrat, hatte ich - wie jeder Neuling - das Problem, mich in das Repertoire einzuarbeiten. Aus meinen Kenntnissen der Aufnahmetechnik heraus entwickelte ich die hier vorgestellte Methode der MIDI-Übungshilfen. Es erwies sich als gutes Werkzeug, obwohl mir die MIDI-Stimmen, die ich zunächst hatte, überhaupt nicht gefielen, denn ich bin zutiefst der nuancenreichen, lebendigen Musik verbunden. Aber es kamen bessere Stimmen auf den Markt, eine Karlsruher (!!!) Firma brachte die oben benutzten Saxophonstimmen heraus.

Ein anderer Aspekt dieser Art zu üben ist für mich kein Problem. Seit Jahrzehnten bin ich daran gewöhnt, etwas zu hören und dann dazu zu spielen. So war es für mich keine Hürde, das gleiche mit MIDI-Stimmen zu tun. Das muss aber nicht für jeden Musiker gelten. Wenn das aber funktionieren sollte, dann ist der Lohn für die Mühe, dass der Dirigent seltener "abreissen" muss und das Orchester als Ganzes intensiver das Zusammenspiel üben kann.

Da man ja sein Spiel selber beurteilen muss, bleibt die Frage, ob man das überhaupt kann! Bei den wichtigsten Eigenschaften der Töne, nämlich Tonhöhe, Tonbeginn und Tonlänge, gibt es technische Hilfsmittel, die bei der Beurteilung helfen. Digitale Stimmgeräte, wie ich eines an anderer Stelle beschrieben habe, helfen, die Tonhöhe des Instruments direkt zu kontrollieren. Sie können in der Regel nicht nur den Kammerton kontrollieren, sondern einen großen Tonbereich.

Macht man eine digitale Aufnahme, die man anschließend als Wellenbild darstellen kann, kann man die Zeiten der Töne (Anfang und Ende) kontrollieren. Dabei braucht man eine Darstellung über der Zeitskala der Takte, denn unsere Musikempfindung wird auf Takte und Bruchteile von Takten eingeübt, nicht auf die physikalische Zeit, also Minuten, Sekunden und Millisekunden. Aber ob wir zwei Töne als gleichzeitig oder nacheinander hören, ist denn doch von ihrem physikalischen Zeitabstand abhängig. Wir brauchen also noch eine zweite Form der Wellendarstellung über einer physikalischen Zeitskala. Auf meinem Rechner benutze ich dazu ein separates Programm, das nicht nur die Audioparts über einer Zeitskala darstellt, sondern sie sehr umfangreich zu bearbeiten erlaubt. Im folgenden Bild ist die Wellendarstellung von drei 4/4-Takten, die in MIDI-Befehlen programmiert sind, wobei Drum und Trompete zu jedem Vierteltakt einen Ton erzeugen sollten. Bei der Trompete aber habe ich aber nur im ersten Takt die Töne pünktlich kommen lassen, im zweiten Takt um 50 ms verzögert, und im dritten Takt um 100 ms verzögert.

Wellenbild zu drei Takten
Ton zum Bild: Drum und Trompete, tp-Töne schrittweise versetzt (mp3)

In der Tonaufnahme hört man die Verzögerung im zweiten Takt schon als unsaubere Intonierung, im dritten Takt aber zweifelsfrei. Bei dem gewählten Tempo der Tonaufnahme entsprechen die 100 ms etwa 1/32 Takt. Das zeigt deutlich, wie sehr man trainieren muss, Töne zur richtigen Zeit herauszubringen. Es ist also durchaus sinnvoll, eine Aufnahme des eigenen Spielens mit einer Wellendarstellung zu kontrollieren. Als Referenz kann man sich in MIDI einige Stimmen von geeigneten Instrumenten aufschreiben, oder eine Tonaufnahme des kompletten Orchesters benutzen. Ein Ausschnitt von dem Titel "Medal Of Honour", bei dem ich mit Altsax 2 eine Nebenstimme zu spielen habe, wobei ich Schwierigkeiten habe, diese Stimme ins Orchester einzuordnen, zeigt, wie die mit MIDI-Stimmen erweiterte Orchesteraufnahme das Üben erleichtert.

Ausschnitt 1 (Takte 8-16) von "Medal Of Honour" (mp3)

Bei dieser Verfahrensweise muss man zuerst herausfinden, wie die Orchesteraufnahme getaktet ist. Die Tempoangaben in den Noten sind ja eher Hinweise als strenge Befehle. Dazu kommt, dass ein lebendiges Orchester das Tempo variiert. Um den digitalen Taktgeber, als den man einen MIDI-drum-part erzeugen kann (z.B. Snare drum für "1", Rim shot für "2,3,4", was sich wie "tak-tik-tik-tik" anhört), auf das Orchester synchronisieren zu können, ist man oft hilflos, wenn man nur nach Gehör die drum-Befehle einrichten kann. Hier hilft ein Vergleich des Wellenbilds der Orchesteraufnahme mit den Noten, am besten aus der Direktion. Das Tempo des drum-parts wird nun auf die Orchesteraufnahme angepasst, indem man am Start mit vermutetem Tempo den Taktgeberpart auf die ersten Takte der Orchesteraufnahme synchronisiert. Bei deutlich rhythmischer Musik, wie z. B. Tanzmusik, gibt es sogar dafür Unterstützung in den Editorprogrammen, aber bei symphonischer Musik ist Versuch und Irrtum das bessere Verfahren. Wenn man bei anfänglicher erzielter Synchronität nach einigen Takten Abweichung feststellt, geht man ein Stück zurück und versucht mit einer Tempoänderung ein weiteres Stück Synchronität zu erzeugen. Während in den Noten von "Medal Of Honour" für das Anfangstempo 80 Vierteltakte pro Minute angegeben werden, startet das Orchester tatsächlich mit 71/Minute. Als ich mich durch das ganze Stück (Gesamtlänge 7 Minuten) durchgearbeitet hatte, kam ich auf 52 Tempoänderungen und das war Arbeit für 2 Tage. Im Wellenbild zu der Hörprobe von den ersten Takten zeigt sich gleich am Anfang ein typisches Problem bei der Suche nach der Synchronisation. Ist bis Takt 12 das Tak-tik-tik-tik der drum glaubhaft synchron zum Orchester, da setzen vor Takt 13 einige Musiker zu früh ein.

Wellenbild_Medal_Of_Honour_Takt_10_bis_14.gif

In der Direktion findet man, dass mit Takt 13 ein Tutti des Orchesters beginnt, zu dem auch die Altsax-2-Stimme gehört. In Takt 12 dagegen spielen nur die Flöten und die Oboe die vierte Wiederholung ihrer Anfangsphrase und haben in Takt 13 eine ganze Note, d. h. sie fügen sich in das Tutti ein.

Das zweite Beispiel aus "Medal Of Honour" (Takt 19-28) zeigt eine Stolperfalle. Der Altsax 2-Spieler hat ordentlich die Takte bis zu seinen drei Noten mitgezählt und sie rechtzeitig gespielt. Danach ist wieder ein Takt Pause und dann beginnt eine Serie von anschwellenden Noten. Überraschenderweise beginnen die anderen Orchestermitglieder die Serie anschwellender Noten einen Takt eher als Altsax 2! Da hilft nur, sich eine Notiz in die Noten zu schreiben.

Ausschnitt 2 (Takte 19-28) von "Medal Of Honour" (mp3)

Das dritte Beispiel aus "Medal Of Honour" ist eine wilde Orchesterpartie, in die das Altsax 2 sich nach einer Pause von 13 Takten gut synchron einfügen muss. Da in 4 Takten lauter Achtel gespielt werden müssen, kann man sich bei einem Fehler am Beginn noch "retten".

Ausschnitt 3 (Takte 88-98) von "Medal Of Honour" (mp3)

Im vierten Beispiel aus "Medal Of Honour" ist nach einem Wechsel zu einem schnellen 6/8-Takt in Takt 124, an den man sich dann über 88 Takte gewöhnen konnte, plötzlich eine kurze Phrase in Zweier-Taktierung geschrieben, wobei die 6/8-Takte aber beibehalten werden. Jeweils eine Takthälfte wird als Quadrole notiert. Hier erweist es sich als nützlich, dass man sich mit der MIDI-Technik vorspielen kann, wie sich das anhört. Bei der Programmierung der Drumschläge im 6/8-Teil setzte ich am Anfang nur zwei Schläge pro Takt ein, weil man durch sechs Schläge bei dem hohen Tempo eher verwirrt wird. Bei den Quadrolen erwies sich das dann auch noch als hilfreich.

Notenausschnitt_Takt_207ff_zu_Medal_Of_Honour_Altsax2.gif

Ausschnitt 4 (Takte 209-223) von "Medal Of Honour" (mp3)

Nun ein Rätsel: Was ist in der folgenden Aufnahme MIDI, was real?

Bei dir war es immer so schön (Ausschnitt)

Hier ist die Lösung!

Also ehrlich: Für solche Helfer beim Üben bin ich dankbar!

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